Revolution der Passier-Konvention?

Eigott!

Es ist Osterzeit und viele Stubenhocker schreiten vor die Türen. So steht hier nun ein nützliches Essay zum memorieren einer offenbar auslaufenden Konvention, um recht effizient den Passier-Prozess bei sich gegenüber tretenden Personen zu lösen:

Ich bemerke auffällig oft, dass das Passieren von Fußgängern nicht mehr so einfach ist, wie sonst üblich. Als darum ich mich nun damit kurzzeitig beschäftigte, ist mir folgendes in den Sinn gekommen:

Es scheint mir, als ob es nicht mehr Usus sei, im Zweifel rechts aneinander vorbei zu passieren. Mir ist diese Konvention jedoch durchaus noch geläufig: Bemerke ich, dass mir die entgegenkommende Person nicht ausweichen wird – beispielsweise, da sie in einem Gespräch vertieft zu sein scheint, weiche ich nach rechts aus. Bei einem Großteil der Passanten – auch Fahrrad fahrenden Personen – ist dies zu aktuellem Zeitpunkt ganz einfach und unproblematisch gelöst. Jedoch gibt es eine auffällig größer werdende Zahl an potentiell Passierenden, welche zuerst nach links ausweichen oder gar gerade aus weiter schreiten.
Das führt im Falle der nach links ausweichenden Passanten dazu, dass meist in ein (1) bis drei (3) weiteren Iterationen eine Korrekturhandlung ausgeführt werden muss. Neben der kognitiven Leistung, nun eine unkonventionelle Lösung zu finden, zu passieren, schreitet natürlich auch der Misanthropie-Pegel an: Wie kann es denn sein, dass das Gegenüber sich nicht an die Konvention hält, aneinander rechts zu passieren? Wieso werde ich jetzt unweigerlich in einen längst habitualisierten und effizient etablierten Vorgang, welcher eigentlich nicht mehr zu diskutieren sei, zur erneuten Revision gezogen? Ist das zu passierende Gegenüber nicht in diese Konvention sozialisiert oder weigert sie sich aus revolutionären Gründen?
Wenn sie diese Konvention nicht kennt: Wieso? Was geeeeht? Müsste nicht schlichtweg durch häufiges Passieren von Personen diese Konvention konditioniert werden? Was muss im Laufe eines langjährigen Menschenlebens geschehen, damit der logische Schluss nie geschehe, das passieren von Personen finde am schnellsten statt, wenn man rechts aneinander vorbei passiert? Sicher gibt es derer, welche in Gegenden sozialisiert sind, da ein Linksfahrgebot gilt und so sich durchaus auch eine „links aneinander vorbei passieren“-Konvention eingeprägt hat. Jedoch zähle ich diese derart sozialisierten Personen zu denen, welche in meinem Lebensraum zu einer sehr kleinen Minderheit zählen und somit nicht im Verhältnis zu den mir in aktueller Zeit häufiger begegnenden Passier-Korrektur-Prozesse stehen.
Handelte es sich um revolutionäre Gründe: Waruuuum? Was soll das denn jetzt bitte? Welchen Grund gibt es, diese Konvention, man passiere rechts aneinander vorbei, sei Änderungsbedürftig? In der Regel resultieren Änderungen aus einem Verbesserungsbedarf. Rechts aneinander vorbei passieren als habitualisierte Konvention ist allerdings schon optimal. Die nächste Stufe wäre ein Instinkt, jedoch hat es unsere Menschheit glücklicherweise noch nicht so mit genetisch verankerter Handlungsprogrammierung. Also: Was könnte dazu bewegen, links zu passieren? Ich kapiere es nicht.
In meinen Begegnungen mit den „Fehlpassierungen“ hatte ich zudem bisher nie den Eindruck, dies geschehe aus revolutionären Gründen. Die Fehlpassanten machten bisher durch verlegene und teilweise kognitiv dissonante Mimik und Gestik (Lächeln) deutlich, dass ihr unkonventionelles Verhalten eine Fehlleistung sei. Leider interpretiere ich dagegen bei einer mitunter partiellen Kollision wegen unvollständig ausgeführter Korrekturhandlung der nach links ausweichenden Person derer Entschuldigung als Provokation, ich würde die Revolution der nach links aneinander vorbei Passierenden nicht mit machen und gleichzeitig als Kaschierung der eigenen Fehlleistung. Da ich mich jedoch der eigentlichen und tatsächlichen Nichtigkeit dieses Problems besinne, ist mein Aggressionspegel nur einen Bruchteil einer Sekunde auf höchstem Misanthropie-Level. Sogleich besinne ich mich der Weisheit Tugend und begebe mich zurück in den Fußgängermodus.

Da nun mein Nicht-Handeln im Sinne davon, ich habe die entsprechenden Personen niemals auf ihre Handlungen direkt befragt oder konsultiert oder zur Rede gestellt – als Resignation vor der verkommenden Gesellschaft verstanden werden könnte, möchte ich mit diesem kleinen Beitrag, der möglichst jederzeit im Internet zur Verfügung stehe, dieser Resignation ein bisschen Einhalt geben. Schließlich möge hier oder unter Freunden diskutiert werden können.

Weniger stark bin ich in diesem kleinen Essay auf die kognitive Leistung beim Finden einer unkonventionellen Lösung eingegangen. Ich möchte hierzu animieren, dass angehende Wissen schaffende Personen sich dieser empirischen Untersuchung annehmen und untersuchen, welche meiner Meinung nach unnötigen Aufwände entstehen, wenn einer doch äußerst banalen, aber längst habitualisierten Handlung wie dem nach rechts aneinander Passieren, eine unkonventionelle Handlung gegenübergestellt wird und dieses Handlungsmuster sich allmählich aufweicht. Welche möglichen erlernbaren Handlungen und Konventionen und standardisierten Vorgänge menschlichen Handelns werden hier in der psychosozialen Entwicklung eines Menschen verzögert oder gar vernachlässigt, nur weil eine Konvention wie der des nach rechts aneinander Vorbeischreitens keine Konvention mehr ist, sondern erst neu entdeckt werden muss im Lernprozess standardisierter und effizienter Handlungsmuster etabliert werden muss?

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